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John Irving: Die vierte Hand. Zürich: Diogenes, 2002. 439 S. ISBN 3-257-06303-2

Ein Fernsehreporter, der für seinen Sender von kuriosen Begebenheiten berichtet, verliert in Indien durch einen Zirkuslöwen seine linke Hand. Auf dem Heimweg hilft ihm ein seltsames Medikament über die Schmerzen hinweg. Außerdem verhilft das Medikament Patrick Wallingford zu einer äußerst erotischen und zufriedenstellenden Vision. Da Patrick bei seinem Unfall auch gefilmt worden war und diese Bilder schnell die Runde über den gesamten Globus gemacht haben, gewinnt er durch den Verlust seiner linken Hand an Bekanntheit hinzu, die den "Löwenmann" bald zu einem gerngesehenen Nachrichtenmoderator werden läßt. Ein sehr guter Chirurg möchte die erste amerikanische Handtransplantation schaffen und geht mit einer eigens dafür geschaffenen Webseite auf Spendersuche. Bald ist eine Spenderin gefunden, die Wallingford die Hand ihres Mannes anbietet. Doris Clausen war von den Bildern, die zeigten, wie Wallingford auf dramatische Weise seine Hand verlor, sehr beeindruckt. Dies sogar so sehr, daß die glücklich verheiratete Mrs. Clausen, die gerne ein Kind bekommen würde, ihren Mann dazu überredet, bei seinem Ableben Wallingford seine Hand zu spenden. Wie es der Zufall in solchen Geschichten manchmal will, verliert Otto Clausen sogar bald schon sein Leben und so schreiten die wichtigen Personen dieser Geschichten zur Tat. Seltsam ist dabei eigentlich nur, daß sich Doris Clausen ein Besuchsrecht für die linke Hand ihres Mannes erbittet und daß sie, bevor Wallingford operiert werden kann, sich noch von ihm schwängern läßt. Wallingford hat danach eine neue linke Hand und es macht sich ein ganz neues Gefühl in dem Lebemann, der bisher ohne ein erkennbares Ziel durchs Leben gewandert ist und dabei mit so vielen Frauen wie möglich geschlafen hat, breit. Eine Sehnsucht nimmt von ihm Besitz und ganz langsam, fast schleichend, beginnt er damit, sich und sein Leben zu ändern.

"Die vierte Hand" ist der elfte Roman eines begnadeten Erzählers. John Irving füllt seine Geschichten mit einer Vielzahl von Geschichten in der Geschichte und so erlebt der Leser nicht nur wie ein Mann langsam versucht, das Herz einer Frau zu gewinnen, sondern er erhält auch Einblicke in die Welt der amerikanischen Nachrichten-Networks und er ist dabei, wenn ein etwas kauziger Chirurg um die Liebe seines Kindes kämpft, die durch die Intrigen seiner Exfrau auf eine harte Bewährungsprobe gestellt wird. Doch durch das Vorlesen der Kinderbücher des Autors E.B.White, einen scheißefressenden Hund und andere Dinge hat auch dieser Kampf um Liebe und Anerkennung, von denen es in diesem Buch eigentlich nur so wimmelt, ein mehr als gutes Ende. Daß im Gegensatz zu dem seltsamen Chirurgen Irvings eigentlicher Held etwas blaß bleibt, trotzdem er ja ein echter Frauentyp ist und ihm etwas sehr Tragisches zugestoßen ist, mag an der Distanziertheit liegen, mit der Irving seinen Helden durch die mehrere Jahre dauernde Handlung begleitet. Aber gerade in dem Umgang mit dem Fluß der Zeit und solch wichtigen Dingen wie Liebe, Erfüllung und den damit verbunden Schmerzen, sowie der unwiderstehlichen Leichtigkeit seines humorigen Schreibens beweist Irving auch in diesem für seine Verhältnisse recht dünnen und schnell geschriebener Roman, was einen guten Erzähler ausmacht.